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Mittwoch, 29. Oktober 2014

Belehrung: Mitgefühl - eine unzeitgemäße Tugend?
Wenn wir bereit sind, uns auf Mitgefühl einzulassen, dann bedeutet dies, dass wir aktiv werden müssen.
Zuerst möchte ich das Wort "Einlassen" ein wenig versuchen, zu erklären. Wenn wir uns auf etwas einlassen wollen, sind wir primär dazu bereit, Kontrolle abzubauen und sind dafür offen, dass die Dinge nicht immer so laufen müssen, wie wir es gerade jetzt, in diesem Augenblick möchten. Sich einlassen bedeutet, den Mut zu besitzen, neugierig und mit großer inneren Weite Dinge so passieren zu lassen wie sie sich im Prozess des Einlassens entwickeln können. Dieses setzt neben Mut auch Geduld und Gewahrsam voraus.

Was nun passiert, wenn wir uns auf das Mitgefühl einlassen? Zuerst: Mitgefühl ist "Liebe trifft auf Leid," wem das zu hoch gegriffen erscheinen mag, der kann es auch "unser gutes Herz sieht ein leidendes gutes Herz" alternativ benennen.

Mitgefühl bedeutet, dass wir klug sind und schauen, wie wir effektiv unterstützen und helfen können. Es ist nicht damit getan, dass wir ein Idioten-Mitgefühl entwickeln und vor lauter Betroffenheit und übermäßiger Emotionalität zu nichts kommen außer uns und dem anderen in schlechte Geisteszustände zu versetzen.
Wir fragen uns vielmehr, wie wir einer Person, einem Tier oder einer Pflanze so helfen können, dass diese Wesenheit eine Linderung oder im besten Fall eine grundlegende Verbesserung ihrer Situation erlangt, sei es  durch Hilfe zur Selbsthilfe.

Mitgefühl, Karuna, so die  buddhistische Bezeichnung hierfür, bedeutet, dass wir uns auf eine leidende Person bereit sind einzulassen, jedoch auch darauf achtend, nicht vom Leid der anderen Entität mitgerissen zu werden. Mitgefühl bedeutet auch, dass wir eine Gleichheit erleben, letztendlich eine tiefe Verwandtschaft zwischen uns allen.
Wer Mitleid besitzt, schafft häufig eine Grenze zwischen demjenigen, der hilft und demjenigen, der die Hilfe erfährt. Deswegen ist es wichtig, dass wir Mitleid und Mitgefühl nicht verwechseln; es ist aber immer heilsam, wenn wir etwas tun, sei es aus Mitleid oder Mitgefühl.

Der Erhabene ging mit seinem Aufwärter Ananda des Weges. Auf ihrem Weg sahen sie auf dem Wegesrand einen Mönch mit Ruhr, damals wie heute eine infektiöse und schwere Durchfallerkrankung. Mönche aus dem Sangha des Buddha kamen vorbei und kümmerten sich nicht um den Kranken. Der Erhabene und Ananda gingen sofort zu dem Darniederliegenden und wuschen ihn, gaben ihm frische Kleidung und Medizin und langsam, Schluck für Schluck zu trinken. Auf die Frage, warum die Mönche dem Mitbruder nicht halfen, antworteten diese, dass ein kranker Mönch zu nichts mehr zu gebrauchen sei. Dieses veranlasste den Buddha zu einer Lehrrede (Sutte) in der er sagte, dass jedes Mitglied des Sangha wie ein Familienmitglied zu behandeln sei.

Was mich an dieser Sutte berührte, war, dass der Buddha und Ananda sofort halfen, effektiv halfen. Es wurde weder darüber diskutiert, noch war es dem Buddha und Ananda unangenehm, einen stinkenden, im eigenen Kot und Erbrochenem liegenden Mönch zu waschen. Hier sehen wir ein Beispiel für Mitgefühl, das tätig wird und zugleich eine liebevolle Haltung dem leidenden Menschen gegenüber.

Mitgefühl bedeutet, das Herz zu öffnen und den "wunden Punkt" wie es Pema Chödrön so nennt, zu spüren. Es ist ein Gefühl von Verpflichtung und es ist keine Mundpraxis, sondern eine geerdete, auf Respekt und wertschätzende Liebe gegründete Tat.
Wenn wir mit Leid konfrontiert werden, dann spüren wir, wie unser Herz wund wird, wir fühlen die Not und wir spüren unser gutes Herz, dass helfen möchte.

Mitgefühl erfordert auch Mut und Tatkraft, gegen moralische Normen anzugehen und zu helfen, es darf nicht dazu kommen, dass wir einer Person mehr helfen als einer anderen, nur vielleicht, weil sie in der gesellschaftlichen Hierarchie oder einer anderen Kultur angehört. Mitgefühl unterscheidet nicht!
Mitgefühl ist niemals unzeitgemäß sondern immer fest in der Gegenwart verankert, da sie dem Leid, dem Kummer, der Angst und der Verletzung nicht ausweicht, sondern sie klar sieht und angemessen darauf reagiert.
Mitgefühl gehörtzu den Vier Großen Vollkommenheiten, diese wären:
1. Maitri (liebevolle Güte)
2. Mudita (Mitfreude)
3. Karuna (Mitgefühl)
4. Upeksha (Gleichmut)
Diese vier Vollkommenheiten, auch Brahmaviharas genannt, sind ein ganz lebenspraktischer Übungsweg für unser tägliches Leben und sie sind von außerordentlicher Heilkraft für unser Gemüt und unserem Körper. Sie sind eigentlich die Grundlage einer weit entwickelten Gesellschaft und sollten das soziale Miteinander bestimmen.

Ich bitte euch, über diese Belehrung nachzusinnen mit der Bitte:
"Halten wir unser Herz offen, lassen wir die ursprüngliche Gutheit, die in jedem Menschen veranlagt ist ruhig mutig und offen zu. Seien wir alle Bodhisattvas auf dem Weg. "


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