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Sonntag, 22. Mai 2016

Mingyur Rinpoche: Dankbarkeit
In einer Belehrung sprach Yongey Mingyur Rinpoche über seine Erfahrungen zum Beginn seines mehrjährigen Retreats. Ziel eines Retreats ist es, sich selber besser kennen zu lernen und auch seine individuelle Praxis zu vertiefen. So begann Rinpoche damit, dass er auf der Straße lebte und dies ist in Indien nicht immer leicht. Neben einigen Schwierigkeiten bekam er durch Durchfall und Wassermangel in eine lebensbedrohliche Lage. Er schildert diese intensive Erfahrung sehr eindringlich und auch sein - wir würden im Westen sagen - Nahtoderlebnis.
In klaren Worten beschreibt Rinpoche seine Bereitschaft, den Tod anzunehmen und sich ihm zu stellen. Er nahm eine Praxis auf, die eine Todes Meditation darstellte und hatte intensive Erfahrungen hierdurch gesammelt. Letztendlich ist er in dem Krankenhaus, in welches er gebracht wurde, nicht verstorben und hat sein Retreat weiter fortgesetzt.
In seiner Belehrung schilderte Rinpoche ein Ergebnis dieser Erfahrungen: Sei dankbar! Erwarte nichts! Sei von grundlegender Offenheit!
Den Aspekt der Dankbarkeit hob Mingyur Rinpoche in besonderer Weise hervor. So sprach er davon, dass wir dankbar sein könnten, zu atmen. Was dies für ein Geschenk sei. Auch, dass wir hören, schmecken und riechen können und schließlich auch, dass wir wahrnehmen können. Oftmals nehmen wir diese Dinge als selbstverständlich an. Sie sind es jedoch nicht und können durch einen Unfall oder durch eine Krankheit schnell der Veränderung und Einschränkung unterliegen.
Als ich im Krankenhaus für längere Zeit mit meiner lebensbedrohliche Erkrankung lag, wurde mir klar, was für eine Kostbarkeit ein funktionierender menschlicher Körper ist.
Während der ersten Operationen wurde von Seiten der Ärzte diskutiert, ob man mein Bein amputieren musste, da sich durch eine Phlegmone und einem Kompartment Syndrom circa 1 Liter Eiter in meiner rechten Wade angesammelt hatte und eine Sepsis ausgebrochen war. Eine auch für mich intensive Erfahrung.

Nach sieben Operationen wurde das Bein gerettet und es brach eine lange Zeit der Heilung an. So saß ich einige Wochen im Rollstuhl, konnte nicht ohne fremde Hilfe mich aufrichten noch auf die Toilette gehen. Eine schwierige Zeit.
Wenn ich heute auf diese Zeit zurück blicke, dann erfüllt mich Dankbarkeit, dass ich wieder ganz normal, nach längerer disziplinierter Übung, gehen kann. Für mich ein kleines Wunder, dass ich überlebt habe und auch die Dinge durchlebt hatte.
Gehen und Bewegung war immer sehr wichtig für mich; meine Beine zu spüren, auf Fußsohlen den Boden wahrnehmen, diese Erfahrungen erfüllen mich mit einer stillen Dankbarkeit und diese wiederum teile ich mit meinem Guru.
Ich bitte alle Leser meines Blogs darauf zu achten, Dankbarkeit stets im Fokus zu behalten. Nichts ist sicher; wir haben keinen Anspruch darauf, dass solche "einfachen" Dinge, wie das Gehen immer zur Verfügung stehen. Nebenbei: Gehen ist - wenn wir achtsam auf den Prozess uns einlassen - eine hochkomplexe Angelegenheit.
Wenn ich abends in der Meditation verweile, höre ich im Garten meiner Klause den Gesang der Vögel - ich bin dankbar. Ich höre den Wind in den Baumkronen - ich bin dankbar. Ich sehe nach der Meditation aus dem Fenster und erblicke einen Igel, wie er zur Dämmerung aktiv wird und ich bin dankbar.
Vergessen wir nicht, wie kostbar dieses Leben ist und wie schwer es ist, als Mensch wieder zu erscheinen. Nutzen wir diese Zeit. Seien wir gewahr und füllen wir unser Herz mit Dankbarkeit.

Kontemplation:
Siehe, dass sich alle Dinge ständig verändern.
Nichts ist sicher.
Öffne dich ohne Angst dieser Unsicherheit, spüre sie und lasse sie zu.

Spüre nun deinen Körper. Sei dankbar, dass er dich schon so viele Jahre rägt ohne großes Murren.
Erfreue Dich, dass du gehen kannst-
erfreue Dich, dass du Urin ablassen kannst ohne Schmerzen-
erfreue dich, dass du Kot ablassen kannst ohne Schmerzen-

Sieh, wie kostbar dieser vergängliche Körper ist
Sieh, was du Heilsames mit ihm durchführen kannst
Sieh wie du in Ruhe und ohne Schmerzen meditieren  kannst

Nutze deine Zeit.
Unser Leben ist gleichsam so kurz wie der Blitz, den wir am Himmel wahrnehmen.
Nutze deine Zeit.

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