Translate

Dienstag, 13. September 2016

Zwei Aspekte des Geistes

Im Vajrayana, der tibetischen Form des Buddhismus, werden zwei Aspekte des Geistes unterschieden: der Erscheinungsaspekt und der Aspekt des Absoluten.

Der Erscheinungsaspekt (tib. Sem) wird als der gewöhnliche Ego Geist gesehen; er unterscheidet, hat Vorlieben und Abneigungen und ist in seiner Ausrichtung der Dualität verpflichtet.

Es ist unser Ego Geist, der Dinge haben möchte oder sie ablehnt, auch alle Emotionen wie die persönliche Liebe und der Zorn, Eifersucht, Hass und die Fähigkeit der Manipulation gehören zu diesem Aspekt des Geistes.
Damit verbunden ebenfalls das starke Leid, die Verzweifelung und all die Krankheiten unseres neurotischen, unruhigen Geistes und alles Jammern und Klagen; all der Verlust und all der Gewinn, alles an Planung und Anhaften.
Dieser Aspekt des Geistes ist  konzeptualisierend und völlig unbeständiger Natur. Er unterliegt Mustern und Denkprozessen, welche dazu führen, dass wir unterscheiden und in dualen Strukturen denken und handeln also unsere Welt nur fragmentarisch, aufgeteilt wahrnehmen und diese Fragmente bewerten. 

Hier zeigen sich unsere individuellen Konditionierungen, welche schon seit langer Zeit gebildet wurden.
Dieser Aspekt des Geistes ist dem Untergang, dem persönlichen Tod und dem Zerfall gleichsam wie der des Körper unterworfen. Wer sich an ihn klammert und sich mit ihm identifiziert, der wird bei der Auflöung des Körpers unter starker Verzweiflung und Getrenntheit leiden.

Wir müssen jedoch erkennen, dass dieser gewöhnliche Aspekt da ist und wir werden ihn zeitlebens auch unterliegen, denn er hilft uns in dieser Welt zu handeln. Gleichzeitig stellt er das ungeschliffene Basiselement dar, mit welchem wir die Befreiung erlangen können. In der Meditation wie in unserem täglichen Leben können wir Erfahrungen sammeln, nict mehr ganz so dual zu denken und zu handeln.

Der zweite Aspekt unseres Geistes wird als der Absolute Geist beschrieben. Hier geht es um die wahre Natur des Geistes (tib. Rigpa). Dieser Aspekt war nie befleckt, nie rein, unterliegt nicht der Dualität oder irgendwelchen unterscheidenden Kategorien.
Auch dem Wandel von Leben zum Tod und umgekehrt unterliegt der wahre Geist nicht. Ferner - und dies ist wichtig - ist er nicht nur auf eine begrenzte Person bezogen.
Die wahre Natur des Geistes ist nicht nur auf eine Persönlichkeit, einem Ich bezogen - sie ist die Natur von allem. Wenn wir also unsere wahre Natur des Geistes erkennen, dann erkennen wir die Wirklichkeit ohne dass es Dualität, Kategorien oder ein persönliches Ego gibt. In der wahren Natur des Geistes zu ruhen bedeutet letztendlich die Befreiung. Die Schleier lösen sich und wir sehen die Dinge so wie sie wirklich sind.

Wenn wir zum Beispiel die Wellen in einem Ozean betrachten, dann zeigen sich hier alle Aktivitäten des gewöhnlichen Aspektes unseres Geistes. Tosende Stürme peitschen die Wellen hoch, permante Bewegung und Dynamik sind die Natur und die Eigenschaften dieser Wellen.
Betrachten wir aber den Ozean selbst, dann ist dort Ruhe, die eigentliche wahre Natur des Ozeans. Unerschütterlichkeit. Stille. Die Wellen sind nur der gewöhnliche Aspekt gleichsam nur auf seiner Oberfläche befindlich. Sie sind immer in Bewegung, dem Untergang und der Neuschaffung unterworfen.

Wenn wir in der wahren Natur des Geistes ruhen, dann erkennen wir die wahre Natur des Ozeans oder die wahre Natur des Himmels. Er ist strahlend blau; die Wolken mal schwer und grau oder hell und leuchtend tangieren den Himmel nicht. So verhält es sich mit den zwei Aspekten des Geistes. Dieses zu erkennen, ist ein Ziel der Meditation.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen